Würth Museum
Noch alle Bilder im Schrank?
„Es gibt so wenig eine Kunst der Geisteskranken wie eine Kunst der am Knie Erkrankten.“ An diese prophetischen Worte des Art-Brut-Oberpriesters Jean Dubuffet erinnert Hans Gercke, einst langjähriger Direktor des Heidelberger Kunstvereins, in seinem Katalogtext zur Ausstellung „Fähigkeiten!“. Im Museum Würth in Künzelsau sind rund 140 Arbeiten von etwa 50 Künstlerinnen und Künstlern mit Assistenzbedarf zu sehen.
Großes und kleines Tier, Pedro Gonzales
Für Kuratorin Kirsten Fiege bildete im Vorfeld die Auswahl aus dem etwa 450 Werke von 125 Künstlern umfassenden Sammlungsbestand die schwierigste Aufgabe. Doch sie meisterte nicht nur diese vorbildlich. Die Hängung und das innere Liniengeflecht der Schau erlauben wunderbare Dialoge zwischen einzelnen Arbeiten und künstlerischen Positionen. Immer wieder korrespondieren die Exponate miteinander. Die Summe wiegt deutlich mehr als ihre Einzelteile.
Gleichwohl verweist Fiege beim Presserundgang auf ein bis heute bestehendes Dilemma hin. So stecke das Label „Besondere Menschen“ die Künstler gleich wieder in eine Schublade, mache sie zu Außenseitern des Kunstbetriebs. Eine gleichberechtigte Rezeption sei damit kaum möglich. Und das über hundert Jahre, nachdem der Heidelberger Psychiater und Kunsthistoriker Hans Prinzhorn seine Sammlung aufbaute. Mit den Worten „Wir sind ein Museum und sehen mit der Kunstbrille auf die Werke“, beschreibt Kuratorin Fiege den gangbarsten Weg durch diesen überaus sehenswerten Ausstellungs-Parcours.
Schrank von Bernd Bukowski und Joachim Humpert
Zum integrationsverhindernden Schubladendenken passt der „Schrank“ von Bernd Bukowski und Joachim Humpert wie die berühmte Faust aufs Auge. Denn das bereits mit Dokumenta-11-Ehren gesegnete Möbelstück öffnet sich in alle vier Himmelsrichtungen dem Betrachter, der Betrachterin. Über zwei Jahre arbeiteten der gehörlose Winnender Maler Bernd Bukowski und der „Techniker“ Joachim Humpert an der Feinschnittsäge Hand in Hand, bis sie ein vielschichtiges Mischwesen aus Collage, Malerei, Installation und visionärem Kalendarium vollendet hatten. Rund vier Jahre vor 9/11 findet sich gar ein Hinweis auf einen „Broadway Flug“. Ob wahnsinniger Zufall oder vorausgenommene Vision liegt dabei im Auge des Betrachters.
Baukran von Roland Kuppel
Anders als das Art-Möbel ist der Baukran von Roland Kappel voll funktionsfähig. Mit einem fotografischen Gedächtnis ausgestattet, setzte der Tüftler seine Erinnerungen an faszinierende Baumaschinen am Rande des Reutlinger Schulwegs immer wieder aufs Neue um. Ideenreiches Materialrecycling, bezauberndes Design und das Faszinosum der Technik fließen hier harmonisch zusammen.
Freunde: Begegnung von Jochen Hepler und Hartmut Winter
Aus dem Vollen schöpft auch Maria Schöchlin aus Basel. Ihre größtenteils erstmals öffentlich gezeigten Gemälde verraten den Bezug zum Textilen, zusätzlich stand dabei die Natur Pate. Bäume im Wechsel der Jahreszeiten, belebt von possierlichen Vogelwesen und nicht minder rätselhaften Katzen, künden vom Kreislauf der Jahreszeiten. Am anderen Ende der Abstraktionsskala steht Brigitte Samendinger, die zahlreiche Malschichten übereinander staffelt. Aus Mustern, Strukturen und Netzen entwickelt sie neue Welten mit hohem Umbruchpotenzial. Bereits die Titel verweisen auf extreme Wetterphänomene.
Figur von Pedro Gonzales
Ein frisches Design wagt der Katalog mit seiner Spiralheftung. Man muss aber etwas kreativ sein, um die Künstlerliste komplett auszuklappen.
Info: Die Ausstellung ist bis 17. September zu sehen, geöffnet ist bei freiem Eintritt täglich von 11 bis 18 Uhr.
Website: https://kunst.wuerth.com/